Nerdvana
Nerdvana | |||
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Sprache | deutsch | ||
Autor(en) | Boris Kretzinger | ||
Verlag | Books on Demand | ||
Jahr | 2012 | ||
ISBN | ISBN -10: 3734754348 ISBN -13: 978-3734754340 | ||
Neupreis | |||
Datenträger | |||
Seitenzahl | 208 | ||
letzte Auflage | 2. Edition (5. Januar 2016) | ||
Genre | Roman | ||
Information |
Buchrückseite[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
In Pauls Leben dreht sich alles um alte Videospiele. Damit ist er in seinem Freundeskreis in bester Gesellschaft: Kaum ein Tag vergeht ohne die Suche nach seltenen Spielen, um die sich interessante Geschichten ranken, kaum ein Abend ohne ausgiebiges Philosophieren über die Klassiker.
Als der Videospielladen eines Freundes kurz vor dem Aus steht, beschließt er, gemeinsam mit seinen Freunden ihr immenses, gebündeltes Nerdwissen für eine unkonventionelle Problemlösung einzusetzen: Die Fälschung von besonders seltenen und wertvollen Videospielen, mit deren Verkauf sie den Laden retten wollen…
Inhaltsverzeichnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Leseprobe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Seite ?? des Romans:
Während ich so aus dem Busfenster schaue, meine Umhängetasche auf den Knien, flackern Erinnerungen an die Schulzeit auf, als wir im Bus noch schnell unsere Hausaufgaben erledigten. Latein- und Matheaufgaben waren immer gesucht, ich konnte im Gegenzug Englisch anbieten. Das fiel mir leicht, vermutlich weil ich seit Kindertagen hauptsächlich englische Spiele auf dem C64 spielte und verstehen wollte, was dort vor sich ging.
Ich sehe mich unter meinen Mitreisenden um. Niemand hat ein Buch oder einen Stift in der Hand. Die Rentner unterhalten sich über ihre Gebrechen, die anstehenden Arztbesuche und unverschämte Verkäufer. Die Jugendlichen – allein dass ich diese Bezeichnung wähle bedeutet unzweifelhaft, dass ich nicht mehr zu diesem elitären Zirkel gehöre – spielen oder schreiben auf ihren Smartphones. Es scheint ein wenig so, als könnten sie sich gar nicht mehr von diesen Geräten lösen und verschmölzen zu kybernetisch-degenerierten Wesen, deren einzige Existenzberechtigung die Kommunikation um ihrer selbst willen sei.
Jederzeit und ständig erreichbar zu sein und sich mitteilen zu müssen empfinde ich als furchterregend. Weder habe ich so viel zu sagen, noch gibt es jemanden, von dem ich ständig etwas hören möchte. Was kann man sich auch im Laufe eines Tages im Abstand von wenigen Minuten schon so bedeutendes schreiben? Und wie sitzen diese Leute, die sich den ganzen Tag über bereits ausgetauscht haben, eigentlich abends am Esstisch? Wird dann überhaupt noch gesprochen? Was man den Tag über erlebt hat, muss ja in dem Fall nicht mehr mitgeteilt werden – alle wissen es bereits, haben es geliked und kommentiert. Und wenn das Abendessen gut ist, gibt es davon auch noch schnell ein Foto. Die Spaghetti sind superlecker. Mutti gefällt das.
„Nächster Halt: Lummitzsch-Straße.“
Als Smartphone-Verweigerer kann ich das natürlich leicht sagen. Es war der erste große Hype, den ich nicht mehr nachvollziehen konnte, sozusagen mein Bruch mit der Jugendgeneration. Ich bin vermutlich zu alt für den Scheiß, aber auch noch zu jung, um mich über Arztgeschichten oder lärmende Nachbarn auslassen zu wollen.
„Nächster Halt: Bukowski-Allee.“
Vermutlich war es immer schon so mit der vermeintlich verkorksten Jugend. Ab dem Moment, da man ihre Beweggründe und Freizeitgestaltung nicht mehr versteht, gehört man nicht mehr dazu. Ob man will oder nicht, man gehört zum alten Eisen und muss die Jugend automatisch für ihre Leichtlebig- und Ahnungslosigkeit verurteilen. In dem Fall habe ich meine ersten Schritte auf diesem Weg bereits erfolgreich zurückgelegt.
Was mochten die Alten damals wohl gedacht haben, als wir mit unseren Gameboys, Game Gears oder Lynx spielend in Bussen oder auf Parkbänken herumsaßen? Als wir sonnige Nachmittage lieber drinnen vor der Flimmerkiste verbrachten als draußen zu spielen? Wenn ich so darüber nachdenke, waren wir auch nicht viel besser. Wir neigen nur dazu, es so aussehen zu lassen. Diese Welt der Technik zieht magisch an, lädt zum Experimentieren, zum Spielen und Ausprobieren ein. Ihr praktischer Nutzen ist dabei Nebensache, denn ihr wohnt ein Selbstzweck inne. «Die Jugend hat Heimweh nach der Zukunft», sagte schon Sartre.
Mit all diesen technischen Gimmicks fühlt es sich ein wenig so an, als sei sie bereits zum Greifen nah. Haben demnach die Alten Sehnsucht nach der Vergangenheit? Ist meine Fixierung auf Retro-Spiele ein reines Schwelgen in Erinnungen an eine Zeit, als ich alle angesagten Gadgets zu kennen glaubte und mich mit Gleichaltrigen über die besten Spiele austauschen konnte?
„Nächster Halt: Siemensring.“
Meine Station. Nach einem hektischen Bremsmanöver des Fahrers, als habe sich die Haltestelle wie aus dem Nichts direkt vor ihm materialisiert, stehe ich vor der Schatztruhe. Zwei große, künstliche Palmen vor dem Eingang signalisieren den Eintritt in eine andere Welt in einer Stadt, deren bunteste Flecken Graffiti an den Bahnbrücken darstellen. Statt Kokosnüsse hängen Modulspiele in ihren Kronen, nach denen ein clever drapierter Plüsch-Donkey-Kong zu greifen versucht. Die Schatztruhe ist mehr als ein Geschäft, sie ist ein Refugium; der vielleicht letzte unverfranchiste Rückzugsort für Nerds.
Auf dem Boden markieren gestrichelte Linien den Weg – wie auf einer Schatzkarte – zu den beiden Abteilungen: Kinderspielzeug auf der rechten, Videospiele und Zubehör auf der linken Seite. Es steckt viel Liebe im Detail der Dekoration und man merkt sofort, dass hier jemand arbeitet, der mit Herzblut bei der Sache ist. Eine Vitrine mit Figuren und Statuen scheint neu zu sein, zieht mich aber nicht in ihren Bann.
„Hey, lange nicht gesehen“, schallt es von der Kasse zu mir herüber.
Lange ist in diesem Zusammenhang relativ. Ich war vielleicht seit zwei Wochen nicht mehr hier.
„Hi Marcel“, trompete ich zurück, während ich zum Regal mit den klassischen Videospielen schlendere. Hier kommen nur unregelmäßig neue Titel hinzu. Die meisten Leute verkaufen ihre alten Spiele lieber über das Internet. Aber dann und wann muss ein armer, unterdrückter Spieler auf Anweisung seiner Eltern oder seiner Freundin für den Kauf einer neuen, teuren Spielkonsole alte Ware eintauschen. Das sind nicht selten dankbare Momente für die Schatztruhe – und für mich. Zunächst stöbere ich durch das recht große Regal mit Mega-Drive-Modulen.
Sämtliche NHL- und Sonic-Titel sind bereits in der zweiten Reihe hinter die interessanteren Titel gerückt und nur durch Lücken hier und da lugen sie aus ihrem Schattendasein hervor. Aus dem Halbdunkel heraus könnte man mit viel Fantasie beinahe ein heiser-geflüstertes Flehen nach Errettung hören. Die meisten Titel in der ersten Reihe habe ich schon mehrfach durchgesehen, aber bereits beim Buchstaben C bleibe ich stehen: Castlevania! Das ist mir neu. Ich nehme die Verpackung aus dem Regal und öffne sie behutsam. Die Verpackungslasche ist noch dran, das Handbuch ist ebenfalls enthalten und vollständig, das Modul in einem sehr guten Zustand. Da kommt auch schon Marcel von der Kasse herüber.
„Das hier kannst du mir schon einmal zur Seite legen“, sage ich.
„Eine vorzügliche Wahl, mein Herr“, erklärt er mit gespitzten Lippen in bester Oberkellner-Manier. „Darf ich Ihnen dazu ein sechsundneunziger Enn-Äitsch-Ell anbieten? Ausgezeichneter Jahrgang, ein echter Klassiker könnte man sagen. Oder ein Fünfundneunziger Fifa? Feine Struktur, etwas pixelig im Abgang, aber mit einem vorzüglichen Bouquet.“
Ich versuche Contenance zu bewahren.
„Wunderbar, packen Sie mir doch bitte gleich alle ein – wenn sie vielleicht noch ein Sonique Deux hätten? Das wäre très bien, mon ami.“ Geschafft, die gespielte Strenge in Marcels Gesicht weicht einem albernen Lachen.
„Wo warst du in der letzten Zeit?“
„Habe ich etwas verpasst? Kamen noch mehr interessante Sachen rein?“ „Ikaruga für den Cube, aber das ist schon weg.“ „Okay, das habe ich auch schon. Was ist mit älteren Sachen?“ „Nichts für Atari und C64, sonst hätte ich dir geschrieben. Das kommt einfach so gut wie nicht mehr vor. Kaum jemand hat diese Sachen noch. Und wer sie hat, kommt scheinbar nicht auf die Idee, sie bei uns abzugeben.“ „Kostverächter.“ „Oder Schlimmeres“, ergänzt Marcel. „Banausen!“
„Was spielst du im Moment?“, fragt er locker an die Säule neben dem Regal gelehnt.
„Derzeit Berzerk auf dem Atari. Liefere mir einen High-score-Wettstreit mit einem Freund. 16.720 Punkte sind zu schlagen und ich bin bisher nicht einmal in die Nähe gekommen.» «Du weißt aber schon, dass du dich dabei auf gaming-geschichtlich gefährlichem Territorium bewegst?“, meint er mit hochgezogenen Augenbrauen und einem Unterton in der Stimme, als erkläre er einem Crashtest-Dummy das Schicksal seiner nächsten Autofahrt. „Wie meinst du das?“
Marcel schaut sich um und nimmt mich dann ein Stück zur Seite, als vertraue er mir ein großes Geheimnis an. Eine seiner klassischen Showeinlagen, aber ich spiele nur zu gerne mit.
„1982, irgendwo in Illinois. Ein junger Kerl in der Blüte seiner Jugend, vielleicht gerade einmal achtzehn Jahre alt, spielt Berzerk in der Spielhalle seines Vertrauens. Er schafft es zweimal hintereinander in die Top-Ten-Liste des Highscores, dann dreht er sich zufrieden um und kann gerade noch fünf Schritte gehen, bevor er tot umfällt. Game over.“
Ich nicke bedächtig.
„Das gleiche soll wenige Monate später in einer anderen Spielhalle passiert sein. Es heißt, es gäbe einen Death Score, den zu erreichen man so viel Aufregung und Spannung durchlebt, dass es einen schließlich zerreißt. Kill-Bill-Style. Schlimme Sache.“ „Fünf Schritte also und …“
„Peng, das war’s.“
„Und wie hoch ist dieser Death Score?“ „Du solltest es besser nicht herausfinden. Spiel lieber etwas weniger Gefährliches am Zwosechser.“ „Pac-Man?“ Marcel schüttelt mit gerümpfter Nase den Kopf.
„Bobby geht nach Hause oder vielleicht Snoopy vs. The Red Baron.“
„Hey, nichts gegen Snoopy!“
„Okay, okay“, beschwichtigt er. Während unserer Unterhaltung hat sich zahlungsbereite Kundschaft an der Kasse eingefunden und Marcel muss seiner verkäuferischen Pflicht nachkommen. Er nickt der freundlichen Dame mit Steifftier unter dem Arm zu und signalisiert mir mit einem kurzen Winken, dass er das Spiel zurücklegt.
Meinung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Shmendric: "."